Gespräch mit dem Leiter der Salzburger Festspiele

„Nur politische Unverfrorenheit“: Markus Hinterhäuser spricht über Kultur im Rahmen des Rechtstrends

Die Kultur gerät auch unter dem Druck der globalen Krisen ins Wanken. Wie soll sie auf den Anstieg des rechtsextremen Gedankens reagieren? Und wie können wir die Kunst im Allgemeinen stärken, wenn uns eine Politik entgegenkommt, die zunehmend weniger Interesse daran zeigt? Wir diskutierten dies mit Markus Hinterhäuser, dem Intendent der Salzburger Festspiele.

Beim Pressetermin letzten Jahr haben Sie vor dem bevorstehenden Zusammenbruch der liberalen Demokratie gewarnt. Sind Sie nun eher zuversichtlicher oder skeptischer gestimmt?

Optimismus war nie meine starke Seite. Damals stellte ich lediglich fest, dass es gewisse Fakten gibt. Eine dieser Tatsachen ist das erschreckende Verhalten gegenüber Elementen, die bedroht sind – darunter auch die Demokratie. Wenn Politik darauf abzielt, die Menschen zum Teil von Idioten werden zu lassen, muss irgendetwas falsch laufen. Derzeit zeigt Amerika den Höhepunkt an politischer Unhöflichkeit.

Seit dem 3. März ist die Bundesregierung in Österreich ohne Beteiligung der FPÖ tätig. Hat das Land knapp einer Krise entkommen?

Wir haben es nur haarscharf geschafft zu vermeiden einer äußerst besorgniserregenden Lage. Dass wir davon gekommen sind bedeutet noch lange nicht, dass das Problem gelöst ist. Die regierenden Parteien sollten langsam ernsthafte Überlegungen anstellen, wie man einen starken rechtsextremen Trend politisch angeht. Als ich den Schauspieler Cornelius Obonyya wegen »Empörungs-Rituale« beschuldigte, bin ich zum Teil auch kritikempfindlich geworden. (Anmerkung des Protokolls: Er bat darum, den Saal zu verlassen, als das Farbeneinheit Schwarzes und Blaues bei der Ansprache von Landeshauptmann Haslauer zusammentrat.) Klar ausgedrückt: Ich mag die FPÖ einfach überhaupt nicht. Allerdings lehne ich stereotypische oder sofortige Reaktionen ab. Für die Extremrechten geht es hier um eine strategisch überlegte Haltung. Sie wissen sehr wohl, wann, wo und mit welchen Worten sie ihre Botschaft verbreiten wollen. Einfache Reflexe auf diese Taktiken genügen da nicht. Das betrifft aber keineswegs nur Österreich. Im ganzen europäischen Raum sind die rechtspopolistischen Kräfte dominant.

Wie könnte beispielsweise die Reaktion der Kulturbranche auf diese Herausforderungen intelligent aussehen?

Ich hoffe darauf, dass du dich stärker engagierst. In der Praxis wird jedoch wahrscheinlich eher eine geringfügige Auswirkung entstehen. Das, was mich wirklich beunruhigt, ist unser komplettes System. Großflächige Veranstaltungen wie die Salzburger Festspiele könnten diese Herausforderungen trotzdem bewältigen. Kleinere und mittelgroße Organisationen dagegen, die unglaublich viel für unsere Kultur leisten aber oft vernachlässigt werden, stehen vor einer Krise. Ein Zusammenbruch dieser Strukturen würde schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Neben dem Schutz des künstlerischen Umfeldes geht es hierbei natürlich auch rein arbeitsrechtliche Aspekte an. Hier bei uns sind rund 260 Personen angestellt. Viele davon haben überhaupt keinen direkten Bezug zum Bereich der Kunst selbst sondern erfüllen ganz alltägliche Aufgaben vom Handwerk bis hin zur Hausmeistertätigkeit. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen einfach ihr täglich Brot und haben jedes Recht dazu. Unabhängig davon ob wir nun als Festspielhaus oder andersartiges Unternehmen operieren – wir tragen alle maßgeblich sowohl materiell als auch ideell zu diesem Konstrukt bei, welches den Namen "Staat" trägt.

Nun schmälern Sie die Kultur etwas ab.

Nein. Allerdings manifestiert sich demokratisches Bewusstsein ebenso durch den Schutz von Minderheiten. Sogar Beethovenˈs Neunte ist nicht allgemeine Volksmusik. Ein großes Problem besteht darin, dass die begrenzte öffentliche Meinung auf Politiker trifft, welche mit einem weitaus umfangreicherem und komplizierterem System umzugehen haben müssen. Immer wieder stellt man fest: Was definiert uns überhaupt? Wohin möchten oder können wir gelangen? In diesen Fragen findet häufig das politische Durchschnittsniveau seine Entscheidungen. Hier bietet die Kultur erheblichen Beitrag zum Feilen unseres Denkvermögens und unserer Reflexionsfähigkeiten.

Häufig behaupten die Verantwortlichen für Kultur, dass unsere aktuellen Herausforderungen bereits in den antiken Dramen behandelt wurden. Ist das vielleicht eine simplifizierte Sichtweise? Im Roman "Mephisto" von Klaus Mann über den Anhänger Gustaf Gründgens wird betont, dass man nicht ständig hinter Shakespeare zurücktreten sollte.

Daran ist nicht der Kern des Themas. Diese Stücke, teilweise älteren Datums, enthalten tatsächlich grundlegende Analysen unserer Gesellschaft. Wenn wir uns damit befassen, besteht unsere Verpflichtung darin, sie neu zu unterforschen und zu hinterfragen.

...aber wenn die Durchschnittlichkeit, wie Sie bemerken, zugenommen hat: Wie können wir dann verstehen, was diese Werke uns heutzutage mitteilen wollen?

Ich bin mir nicht sicher, ob eine solche Übertragungsleistung quantifiziert werden kann. Dennoch liegt es in unserer Verantwortung, unser Publikum herauszufordern, das wir eingeladen haben. Selbstverständlich sollte jeder seinen Platz genießen können. Allerdings profitieren Menschen auch davon, angespornt zu werden. Hier zwei Beispiele dafür: Wir hatten Opern-aufführungen mit dem Drama "Die griechische Passion" von Martinuš sowie "Der Idiot" von Weinberg – beide Werke handeln von scheinbar teilnahmsvollen Randfiguren. Diese Stücke zählen definitiv nicht zu den Massenbestsellern. Doch sie wurden stärker wahrgenommen als irgendetwas Ähnliches. Falls die Darstellung prägnant und klar bleibt ohne unnötige Ausflüchte, wird der Inhalt unmittelbar nachvollziehbar sein.

Jetzt ist die Vorbereitungsphase für das Operngeschehen sehr ausgedehnt. Trotzdem sollten Sie Ihren Terminplan anpassen, um auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können?

Wenn ich 220.000 Zuschauerinnen und Zuschauer wie in Salzburg erreiche, sollte mein Programm nicht permanent politisch-moralischen oder möglicherweise agitativen Inhalt haben. Es ist nicht meine Absicht, provocative oder kindlich zu wirken. Stattdessen möchte ich Momente schaffen, die poetischer, ruhiger und tiefergelegt sind und uns nachdenkend machen sowie unser Verständnis unserer Wirklichkeit erweitern. Im Sommer stellen wir Händels "Giulio Cesare" vor. Eine Arbeit, in der alle gegeneinander kämpfen. Sie zeichnet sich durch einen vollkommen nihilistischen Charakter aus und zeigt uns, dass all diese Auseinandersetzungen völlig sinnlos sind. Dies spiegelt genau das wider, was ich mit meiner Auswahl verfolge.

Auch wenn Sie sich im Himmelischen Salzburg auf der seligen Insel befinden? Ein Intendant eines kleineren deutscher Theaters muss wohl eine andere Programmgestaltung vornehmen – und beispielsweise "Meine schöne Dame" darstellen, um die Finanzierung zu gewährleisten.

Allerdings ist es überraschend, wie tapfer die so genannten kleineren Theaterhäuser voranschreiten. Betrachten Sie einfach ihre Programmplanungen. Das respektiere ich sehr!Diese häufig bedrohten Institutionen sind unglaublich bedeutend. Was wir einbüßen, das können wir niemals ersetzen. Ich bin mir bewusst, dass die Festivals durch ihre Geschichte und ihren Charme einen gewissen Vorzug genießen.

Hat Ihnen die Politik schon einmal Schwierigkeiten bereitet und Sie mit Aussagen wie "Versuchen Sie etwas Beliebtes" konfrontiert werden?

Es hat niemals Inhaltsbeeinflussung gegeben, selbst nicht durch die Sponsorinnen oder den Sponsor. Hier genieße ich einerseits Freiheiten – doch diese müssen natürlich eingegrenzt bleiben. Schließlich muss ich bestimmte Kriterien erfüllen und beispielsweise recht großartige Veranstaltungen organisieren und bevölkern.

Je stärker und einflussreicher würden Sie sein, sollten Sie zum Beispiel in Salzburg eine „Toleranza-Woche“ ins Leben rufen.

Wenn ich "Die griechische Passion" inszeniere und fünf Mal ausverkaufte Vorstellungen habe, zeigt dies eine Botschaft der Toleranz. Darüber hinaus erhalten wir ein buntes Publikum aus verschiedenen Nationen, das sich – sozusagen – auf einer gemeinsamen Wellenlänge trifft. Es handelt sich um eine großartige Herausforderung. Jeder wird Teil eines Ganzen. Sie alle gehen mit einem besonderen Erlebnis nach Hause. Ein wahres Wunder.

Die Kultur kann alternative Wege zur Reaktion auf politische Themen finden. Christian Tetzlaff und András Schiff lehnen die USA ab.

Ich habe mich intensiv mit dem Thema Boykott auseinandergesetzt, besonders bei Erinnerungen an die Aufführungen von Teodor Currentzis in Salzburg – was viele Kritiker hervorhoben. Natürlich hat jeder im Hinblick auf die Vulgaritäten in den USA das Recht zu seiner eigenen Entscheidung. Das ist völlig legitim. Wer jedoch über solche Fragen diskutiert und beispielsweise in Italien lebt, wo Immigranten in Lager abgeschoben werden, muss sich fragen, wie man einen Sinnvollen daraus ableiten kann. Die Skala spielt hier eine wichtige Rolle. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Boykott tatsächlich irgendeine Auswirkung haben wird? Nebenbei bemerkt: Es gibt kein kollektives Versagen. In den USA könnten zurzeit zahlreiche Menschen Bach durch András Schiff erleben wollen, nicht zuletzt wegen der Bedeutung dieser Musik für unsere Gesellschaft.

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